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Gelbe Riesen schwebend lackiert

Liebherr geht mit einer neuen Großteilelackieranlage für Hydraulikbagger neue Wege: Die bis zu zwanzig Tonnen schweren Teile werden frei hängend an einer deckengeführten Laufbahn durch die Anlage gefahren. Eine besondere Antriebslösung sorgt dabei für optimalen Explosionsschutz in den Lackier- und Trockenkabinen.

Es ist beeindruckend: Wie schwerelos schwebt ein Bagger-Unterwagen durch eine Halle im schwäbischen Kirchdorf, begleitet von einem blinkenden Warnlicht und regelmäßigen Gongschlägen zum Schutz der Mitarbeiter. Gleich dahinter folgen einige Ausleger und Drehbühnen zu mehreren an einem Gehänge. Der Unterwagen wiegt rund elf Tonnen - die anderen Teile bringen zusammen sogar über 15 Tonnen auf die Waage. "Wir waren auf der Suche nach einer Lösung, die einen schnelleren Materialfluss und eine höhere Wirtschaftlichkeit bei der Beschichtung und Trocknung der Werkstücke ermöglicht", erklärt Thomas Fischer, zuständiger Projektleiter bei Liebherr. "Unsere bisherige Hänge-Beschichtungsanlage war lediglich auf Lasten bis vier Tonnen ausgelegt, schwerere Teile wurden manuell transportiert. Für sie stand nur Bodenfördertechnik zur Verfügung, was die Lackierung jedoch erschwert. Eine deckengeführte Anlage bis 20 Tonnen schien für uns zunächst nicht realisierbar - es gab bisher niemanden, der so eine Anlage gebaut hat."

Bereits seit 1949 fertigt, montiert und beschichtet Liebherr an seinem baden-württembergischen Stammsitz Hydraulikbagger. Das Einsatzgebiet der typischen gelben Riesen umfasst den Tief- und Tunnelbau, industrielle Umschlagstechnik, Abbruch- und Recyclingunternehmen sowie die Wasserwirtschaft. Die Produktpalette beinhaltet Maschinen mit Einsatzgewichten zwischen zehn und 672 Tonnen. Im Werk Kirchdorf werden derzeit Bagger bis 77 Tonnen gefertigt - Tendenz steigend. Im Zuge einer Umstrukturierung der Produktion sollte deshalb der Beschichtungsprozess auch für schwere Teile automatisiert und die Lackierung auf umweltfreundliche, wasserlösliche 2-K-Hydrolacke umgestellt werden. Eine Maschinenhalle, die bisher zum Schweißen von Teilen genutzt wurde, stand bereits zur Verfügung. Auf einer Gesamtfläche von 3.500 Quadratmetern konnte also eine komplett neue Anlage erstellt werden.

Neue Idee aus der Baustoffindustrie

Die Lösung lieferte Vollert Anlagenbau aus Weinsberg. Der Spezialist für schwere Lasten entwickelt neben Intralogistiksystemen für die Metall- und Automotivebranche auch Förderanlagen für die Baustoffindustrie, unter anderem für Betonfertigteilwerke. Aus diesem Bereich stammt das Prinzip der neuen durchgehenden Einträger-Hängelaufbahn für Teile bis zu 20 Tonnen Gewicht. "Für die neue Anlage konnten wir auf unsere Erfahrung aus der Baustoffindustrie zurückgreifen. Hier haben wir bereits ähnliche Anlagen konzipiert. Die hohe Traglast ist bei einer deckengeführten Anlage bisher allerdings einzigartig", erläutert Dieter Schnell, Projektleiter von Vollert. "Die Herausforderung bestand zudem darin, eine Anlage zu entwickeln, die aus Gründen des Explosionsschutzes in den Lackierstationen ohne elektrischen Einzelantrieb der Transporteinheiten auskommen sollte. Und das ist uns gelungen."

Perfekter Ex-Schutz: kein Motor, keine Stromversorgung

Die Lösung ist so einfach wie genial: Die von Vollert speziell entwickelten Transporteinheiten bestehen aus einem Gehänge, an dem die Werkstücke je nach Größe und Gewicht einzeln oder zu mehreren eingehängt werden. Die Höhe kann dabei um zwei Meter variiert werden. Die Gehänge fahren auf einer deckengeführten Laufschiene durch die gesamte Anlage, an der in regelmäßigen Abständen stationäre Reibradantriebe installiert sind, die für den nötigen Vorschub sorgen. Drei Verteilmanipulatoren an zentralen Punkten, jeder mit einer Spannweite von 15,5 Metern und einem Gewicht von 14 Tonnen, übernehmen die Transporteinheiten und fahren sie zu den vorgesehenen Grundier-, Lackier-, Abdunst- und Trockenkabinen. Hier zeigt sich dann der eigentliche Vorteile des Antriebsystems: Das Abschieben und Einholen der Gehänge in die Kabinen erfolgt mithilfe der Reibradtechnik und eines Zahnstangenantriebs, die auf dem Verteilmanipulator angebracht sind. Innerhalb der Kabinen sind deshalb keinerlei Motoren oder stromführende Anlagenteile notwendig - ein entscheidender Punkt für den Explosionsschutz. "Zwar sind Ex-Schutz-gesicherte Antriebe möglich, diese sind jedoch wesentlich teurer", so Dieter Schnell. "Außerdem ist die Technik dann der Verschmutzung beispielsweise durch Lacknebel ausgesetzt, was eine ständige Wartung erfordert." Mit dem Reibradantrieb haben die Vollert-Ingenieure dagegen eine kostengünstige, dauerhafte und nahezu wartungsfreie Lösung mit einer hohen Verfügbarkeit gefunden: Die neue Anlage ist 24 Stunden am Tag in Betrieb.

Komplette Planung aus einer Hand

Als Generalunternehmer übernahm Vollert nicht nur die Planung, die Fördertechnik und den Stahlbau, sondern auch die Koordination für die weiteren Teile der Anlagentechnik. Insgesamt umfasst das gesamte System 17 Bearbeitungsplätze, darunter fünf Trocken- und Abdunst- sowie jeweils eine Reinigungs-, Grundier-, Lackier- und Kühlkabine. Am Ende der Anlage befindet sich außerdem ein Rücklaufpuffer mit vier Plätzen. Dieser dient einerseits als freie Kühlstrecke nach dem Decklack-Trocknen, andererseits zum Ausgleich von Produktionsschwankungen. Das Be- und Entladen übernimmt ein vierter Manipulator mit einer Spannweite von 16 Metern und einer Höhe von 10,5 Metern. Dieser ist als selbstfahrende Halbportallösung konzipiert, sodass keine störende aufgeständerte Laufbahn den Aktionsradius bei der Anlieferung der bis zu 12,5 Meter langen, 4,5 Meter hohen und 2,8 Meter breiten Teile einschränkt. Nach der Anlieferung werden die Teile in die Transporteinheit eingehängt, die sich im Belademanipulator befindet, und zur Reinigungskabine gefahren. Am Ende der Durchfahrt übernimmt der erste von drei Verteilmanipulatoren die Trägereinheit mit dem Werkstück und bringt dieses zum Abtropf- und danach zu einem freien Vorbereitungsplatz. Hier werden unter anderem nicht zu lackierende Flächen wie der Drehkranz der Bagger abgeklebt und Bohrungen vor dem Grundieren abgedichtet. Außerdem wird der Transporteinheit ein entsprechender Datensatz zugeordnet, der Auskunft über die Art der Lackierung, RAL-Farbe, Temperatur und Trockendauer gibt. Die RAL-Nummer kann an der Grundier- und Lackierstation auf Displays abgerufen werden. Die Trocknersteuerung greift ebenfalls auf diesen Datensatz zu. Nach dem Quittieren durch den Werker erfolgen Anfahrt, Entnahme und der Weitertransport vollautomatisch. Insgesamt 19 Gehänge mit jeweils bis zu 20 Tonnen sind ständig im Umlauf. Dank der parallelen Anordnung der Vorbereitungsplätze und Lackierkabinen ist außerdem jederzeit ein Queren und Kreuzen der Werkstücke und damit ein Überholen, Vorziehen, Ausschleusen oder Rücklauf möglich. Ein Durchfahrtspuffer führt parallel an den Arbeitsplätzen vorbei zu den Lackierkabinen. Damit bietet die Einträger-Hängelaufbahn von Vollert eine wesentlich höhere Flexibilität als andere. Bereits im Vorfeld der Planungen wurden die Prozessabläufe virtuell simuliert und die optimale Anzahl der Transporteinheiten für einen reibungslosen Ablauf ermittelt. Die gefundene Lösung garantiert damit schnellste Taktzeiten.

Umweltfreundliche Lackiertechnik

Auf die Ausstattung der Lackier- und Trockenkabinen spezialisiert ist Heimer Lackieranlagen und Industrielufttechnik aus Bielefeld. Zwei Kabinen dienen zum Grundieren und Decklackieren der Baggerteile. Vollautomatische Rolltore verhindern ein Austreten von Lacknebel und eine Verschmutzung der Oberflächen. Moderne Filteranlagen sorgen für das Absaugen und die Reinigung der Luft, wobei durch die Verwendung der wasserlöslichen 2-K-Hydrolacke ohnehin kaum noch Lösungsmittel im Lack enthalten sind. Auch bei den anschließenden Kühl-, Abdunst- und Trockenkabinen setzt Liebherr auf eine umweltfreundliche Lösung: Die Trockner arbeiten mit 90 Prozent Umluft und lediglich zehn Prozent Frischluft. Durch einen Wärmetauscher in der Abdunstanlage wird die frische Luft außerdem vorgewärmt und wertvolle Energie zurückgeführt. Fertig getrocknet fahren die Gehänge auf die Rücklaufstraße, an deren Ende die Werkstücke abgenommen und in die Endmontage überführt werden. Während aus Arbeitsschutzgründen in den Bereichen mit Werksverkehr Transportgeschwindigkeiten von 0,2 m/s gefahren werden, erreicht die Anlage im geschlossenen Lackierbereich und auf der Rücklaufstraße Geschwindigkeiten bis 0,5 m/s.

Mit diesem Ergebnis ist Projektleiter Thomas Fischer sehr zufrieden: "Obwohl dies die erste Anlage ihrer Art ist, sind wir von der Lösung absolut überzeugt. Im Vergleich zu vorher erreichen wir jetzt kürzere Taktzeiten bei wesentlich höheren Lasten und sind gleichzeitig viel flexibler im Durchlauf. Damit verfügen wir über eine moderne, umweltfreundliche und wirtschaftlichere Anlage." Und auch die Projektzeit kann sich sehen lassen: Lediglich 15 Monate benötigten die Ingenieure von Vollert von der Planung bis zur endgültigen Abnahme.

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