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Backofen für Baumaschinen

Bei der Wirtgen GmbH aus Windhagen, Weltmarktführer im Bereich Kaltfräsen für den Straßenbau, werden bis zu 30 Tonnen schwere Teile frei hängend beschichtet. Der Stahlbau der 230 °C heißen Öfen ist gegen Energieverluste komplett vom Transportstahlbau getrennt. Möglich wird dies durch eine besondere Antriebstechnik. Sie erlaubt auch bei schwersten Lasten eine Spaltüberbrückung von 70 cm und ist gleichzeitig verschleißfrei und Ex-Schutz-sicher. Das System stammt von Vollert Anlagenbau aus Weinsberg.

Teile bis 30 Tonnen, 230 °C heiße Öfen, 70 cm Spaltüberbrückung - an Superlativen mangelt es der weltweit ersten Doppelspur-Hängeanlage zur Lackierung- und Pulverbeschichtung der Wirtgen GmbH wirklich nicht. Aber Superlative und große Teile sind für den Hersteller von Kaltfräsen, Kalt- und Heißrecyclern und weiteren Technologien für den Straßenbau das tägliche Geschäft. Das Unternehmen aus Windhagen entwickelte sich in knapp 50 Jahren vom Ein-Mann-Betrieb zum Weltmarktführer mit 4.500 Mitarbeitern, vier Stammwerken in Deutschland und weiteren Produktionsstätten in Brasilien, den USA und China. Neben Wirtgen gehören auch die Maschinenbauunternehmen Joseph Vögele, Hamm und Kleemann zur Wirtgen Group - allesamt namhafte Hersteller hochwertiger mobiler Maschinen und Anlagen für den Straßenbau und die Aufbereitung und Gewinnung von mineralischen Rohstoffen.

Flurfreie Beschichtung trotz tonnenschwerer Teile

Die neue Anlage im Wirtgen-Stammwerk an der A3 zwischen Köln und Frankfurt wird überwiegend zur Beschichtung von mobilen Sondermaschinen der Produktsparten Surface Mining, Kaltrecycling und Gleitschaltungsfertiger eingesetzt. Die Einzelteile dieser Großgeräte werden bei der Beschichtung frei hängend transportiert. Im Gegensatz zu bodengeführten Transportsystemen erleichtert dies die Bearbeitung und Lackierung und beschleunigt den Materialfluss. "Flurfreie Transportsysteme sind bei Beschichtungsanlagen von Vorteil, allerdings sind die meisten Systeme nicht für Lasten über 6 bis 8 Tonnen ausgelegt. Vor uns gab es niemanden, der so etwas gebaut hat", erklärt Dieter Schnell, Projektleiter von Vollert Anlagenbau. "Wir haben deshalb ein neues System für deckengeführte Anlagen bis 50 Tonnen entwickelt, das gleichzeitig ohne Einzelantriebe auf den Transporteinheiten auskommt und damit ohne elektrische Stromversorgung in den Beschichtungskabinen und Öfen - der optimale Explosionsschutz."

Reibradantrieb aus der Baustoffindustrie

Weit mussten die Ingenieure von Vollert dabei nicht suchen. Der Intralogistik-Spezialist entwickelt neben Schwerlast-Systemen für die Metall- und Aluminiumbranche auch Förderanlagen für die Baustoffindustrie, unter anderem für Betonfertigteilwerke. Aus diesem Bereich stammt das Prinzip der Schwerlast-Hängelaufbahn. Das Besondere daran ist der Reibradantrieb: Anstelle elektrischer Einzelantriebe auf den Transporteinheiten sorgen stationäre Reibräder in regelmäßigen Abständen für den Vorschub der Werkstücke. Diese werden in Transport-Traversen je nach Größe einzeln oder zu mehreren eingehängt. Automatikkrane, sogenannte Verteilmanipulatoren, nehmen an zentralen Punkten die Traversen auf und fahren sie zu den einzelnen Arbeitsstationen. Das Aufnehmen und Abschieben auf den Manipulatoren übernehmen ebenfalls Reibräder und ein Zahnstangenantrieb. Dadurch kann in den Lackier- und Trockenkabinen auf jegliche Stromversorgung verzichtet werden. Das spart Kosten: "Ex-Schutz-gesicherte Antriebe sind teurer und störungsanfälliger", so Dieter Schnell, "denn in den Kabinen sind sie der Verschmutzung durch Lack- und Pulvernebel ausgesetzt, was eine ständige Wartung erfordert. Unsere Anlage läuft dagegen fast wartungsfrei." Beim Bagger- und Kranhersteller Liebherr sind seit einigen Monaten zwei Einträger-Hängelaufbahnen von Vollert für Teile bis 20 und 50 Tonnen in Betrieb. Hier hat sich das Konzept schon bewährt. Die neue Doppelspur-Lösung bei Wirtgen ist aufgrund der großen Ausmaße einzelner Teile und der teilweise einseitig hohen Lasten nötig.

Hohe Flexibilität: Pulver- und Nasslackierung möglich

Die Beschichtungsanlage von Wirtgen ist sowohl zum Lackieren als auch zum Pulverbeschichten ausgelegt. Dafür stehen zwei Pulver- und eine Nasslackierkabine bereit. Zuvor werden die Teile in einer Strahlkabine vorbehandelt und auf Vorbereitungsplätzen gereinigt, abgeklebt oder gespachtelt. Am Beginn der Anlage nimmt ein 9 m hoher, 10,5 m breiter und mit einem Hubwerk ausgestatteter Be- und Entlademanipulator die bereitgestellten und in den Transporteinheiten eingehängten Werkstücke auf. Der Manipulator ist als fahrbare, deckengeführte Brücke konstruiert und kann die parallel hintereinander angeordneten Arbeitsplätze auf einer Länge von 30 m anfahren. Durch die parallele Anordnung der Stationen ist jederzeit ein Queren und Kreuzen der Werkstücke und damit ein Überholen, Vorziehen, Ausschleusen oder Rücklauf möglich.

Die Strahlkabine ist mit einer Schleuderrad-Strahlanlage von Wheelabrator aus Metelen ausgestattet. Eine auf das Strahlen individuell abstimmbare Fahrgeschwindigkeit sorgt für optimale und gleichmäßige Ergebnisse. Dabei befindet sich lediglich die Trägereinheit mit den Werkstücken innerhalb der Kabine - die Hängelaufbahn und die Reibradtechnik befinden sich außerhalb und sind durch eine Abdichtung vor Verschmutzung durch das Strahlmittel geschützt. Nach dem Strahlen folgt die Rückfahrt auf den Verteilmanipulator und der automatische Weitertransport zu den Vorbereitungsplätzen. Zwei dieser Plätze verfügen über begehbare Hubwerke, sodass sich kleinere Bauteile absenken und ergonomisch bearbeiten lassen. Dadurch kann auf zusätzliche Arbeitsbühnen verzichtet und trotzdem die aus Arbeitsschutzgründen vorgeschriebene Mindestfahrthöhe von 50 cm während des Transports eingehalten werden. Auch in den Lackier- und Pulverkabinen befinden sich entsprechende Hubwerke.

Im Anschluss an die Vorbereitung fahren die Werkstücke auf der Rückseite der Arbeitsplätze aus. Ein zweiter Verteilmanipulator verbindet hier auf einer Fahrstrecke von rund 45 m als zentrale Verteilstation die Lackier- und Pulverkabinen mit den Öfen und den Abkühlplätzen.

Bei 230 °C dehnt sich der Stahlbau um 40 mm

Die besondere Herausforderung bei Wirtgen waren für die Ingenieure von Vollert nicht unbedingt die hohen Lasten - im Regelbetrieb werden bei Wirtgen Teile bis 20 Tonnen gefahren, Sonderteile bis 30 Tonnen sind ebenfalls möglich - sondern vielmehr die hohen Temperaturen und die Anbindung der beiden Öfen für die Pulverbeschichtung an das Intralogistiksystem. Bei Nasslack werden die Teile lediglich getrocknet, das Pulver muss jedoch eingebrannt werden. Die Öfen arbeiten deshalb mit Temperaturen zwischen 70 und 230 °C. Die Lackier- und Trockentechnik dazu stammt von SLF aus Greven-Reckenfeld. Das Problem: Bei 230 °C dehnt und verformt sich der innere Stahlbau um bis zu 40 mm. Trotzdem muss der Transport der Werkstücke immer reibungslos funktionieren. Die zweite Herausforderung bestand darin, die Energieverluste der Öfen durch Wärmebrücken und Tore möglichst gering zu halten. Beides ist nur möglich, wenn der Stahlbau der Öfen und der Transportstahlbau außerhalb durch einen Spalt baulich getrennt und isoliert werden. Dieser Spalt muss allerdings vom Intralogistiksystem überbrückt werden - bei 30 Tonnen Last. Nur so können auch die großen und schweren Isolationstore mit einer Dicke von 20 cm den Ofen komplett verschließen. "Die Anforderungen waren nicht einfach", sagt Waldemar Bukal, Projektbetreuer bei der Wirtgen GmbH, "aber mit der Lösung von Vollert ist die Spaltüberbrückung möglich, und alle unsere Forderungen wurden damit bestens erfüllt." Tatsächlich können mit der Vollert-Anlage bei Wirtgen sogar vor den Öfen anstelle von Schiebetoren Schwenktore eingesetzt werden, welche die Zufahrten zu den benachbarten Arbeitsstationen nicht behindern. Auch der Verteilmanipulator und die Reibräder können direkt nach dem Trocknen die heißen Transporteinheiten aufnehmen und zu den Abkühlplätzen fahren. Am Ende erfolgt der Rücktransport zum Be- und Entlademanipulator und die Rückführung in die Produktion.

Energiesparende und wirtschaftliche Lösung

"Wir sind mit der Gesamtanlage und der Ausführung durch Vollert sehr zufrieden. Mit der neuen Anlage können wir schneller und flexibler arbeiten, und gleichzeitig handelt es sich um eine kostengünstige und energiesparende Lösung. Damit haben wir eine zukunftsfähige Beschichtung für unser Stammwerk in Windhagen gefunden", betont Waldemar Bukal. Neben der Konstruktion übernahm Vollert auch die Projektleitung und die Koordination der beteiligten Projektpartnern für Pulverbeschichtung und Strahlen und des Applikationslieferanten. Auch die CE-Zertifizierung werden die Spezialisten aus Weinsberg nach der Inbetriebnahme durchführen. Bei Wirtgen ist man von dem neuen Konzept überzeugt: Für das Schwesterunternehmen Kleemann in Göppingen installieren die Ingenieure von Vollert gerade eine fast baugleiche Anlage, wobei Synergien bei der Entwicklung genutzt wurden. Beispielsweise sind die Transporttraversen bei Wirtgen und Kleemann identisch. Ab Ende des Jahres sollen bei Kleemann dann Teile von Brech- und Siebanlagen beschichtet werden. Das Produktprogramm umfasst stationäre und raupenmobile Maschinen, mit denen bis zu 1.000 Tonnen Material pro Stunde verarbeitet werden können.

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